R 128: Das Märchen vom lauten und lauteren Wettbewerb

Es gab einmal eine Zeit, manche nennen sie gut, auf jeden Fall ist sie sehr alt, da wurde Radio von einer Behörde gemacht. Neinnein, nicht vom Staat selber, das war verboten, die Behörde hieß IRT und hatte um die zehn weitere nachgeschaltete Behörden, und die wußten alle, wie Rundfunk, so nannten die Behörden das, gemacht werden mußte. Nicht so sehr inhaltlich, davon soll hier nicht die Rede sein, als eher technisch. Diese Behörde dachte sich aus, wie dieser Rundfunk zu gehen habe und schrieb das alles in große braune Bücher nieder.

Und diese Behörde wußte viel über ihren Rundfunk: Zum Beispiel, daß Musik, also Unterhaltungsmusik jetzt, vieeel lauter ist als der Sprecher, der diese Musik ansagen durfte. Als aber klassische Musik gespielt wurde, da war wiederum der Sprecher vieeel zu laut!

Also ersann man sich eine Richtlinie, an die sich alle nachgeschalteten Behörden zu halten hatten (und dies uneingeschränkt auch taten!): Die Tanzmusik habe nur halb soviel Bums zu haben wie deren Ansager. Und, weil sie ja überhaupt so leise ist, dürfe der Sprecher im Klassikprogramm nur etwa vierzig Prozent des Bumses der Musik dort bekommen.

Und so wurde Jahrzehnt um Jahrzehnt durchgesendet, und eigentlich könnte die Geschichte hier zuende sein.

Doch dann … durften plötzlich auch kommerzielle Unternehmen Radio machen! Und weil die nix mit der Behörde am Hut hatten, scherten sie sich ein Nasenwasser um deren Richtlinien und dachten sich: Pöh, die Behördenfunker mit ihren fünfzig Prozent, denen zeigen wir mal, wo der Barthel den Most holt, und drehten ihre Lautstärke (der behördlich zugelassene Fachmann sagt „Pegel“) einfach ein bißchen weiter auf. Und dann noch ein bißchen. Und die Mitarbeiter der Behörde guckten dumm aus der Wäsche, denn die neuen, unbehördlichen, waren jetzt lauter, und sie selber hatten ja die Richtlinie ihrer Oberbehörde am Bein.

Und auch hier wiederum könnte diese Geschichte ein Ende haben.

Aber jetzt kamen von überall her weitere Firmen an, die auch Radio machen wollten, und die fanden, wenn die einen schon so laut sind, dann müßten sie selber erst recht laut sein, aber das ging nicht, denn der Sender kippte fast um.

Und weil Konkurrenz nicht nur das Geschäft, sondern auch den Erfindergeist belebt, kam ein Erfinder einher, Urban hieß er wohl einst, war aber vor geraumer Zeit in die Staaten ausgewandert, und erfand ein Gerät, mit der er die bisher gleich lauten Stationen auf einmal noch viel lauter machen konnte, denn nur so, sagte er, würde der an sich ohnehin taube Hörer die Sender überhaupt noch wahrnehmen.

Das merkten die anderen Sender und kauften sich auch so ein Gerät.

Und seither plärrten alle Stationen, gleich ob sie Oldies, zeitgenössische Popmusik oder klassische Musik spielten, miteinander um die Wette, wer denn doch noch lauter könne. Und immer so weiter, und der Sender fiel trotzdem nicht um.

Und hier könnte die Geschichte schon wieder zuende sein.

Ist sie aber nicht, denn ein paar Herren von der Ober-Ober-Behörde ging dieses Gebrülle im Äther gehörig auf die E*er, denn es war nicht nur die Lautstärke, die konnten sie ja leiser drehen, nein, das ganze Gewerk, Musik wie Sprecher wie Triangel und Pauke, klang plötzlich wie Arsch und Friedrich.

Das störte die Herren sehr.

Und so drehten sie ihre Radios ab, popelten sich das Ohropax heraus, berieten sich und befahlen einem ihrer Schergen, einem Österreicher, er solle diesem Treiben endlich Einhalt gebieten!

Und der Scherge, Florian hieß er, setzte sich erschrocken auf seinen Hosenboden und dachte nach.

Und wie er so dasaß und dachte, da kam es ihm (In den Sinn! So aufregend waren seine Gedanken nun auch nicht.): Die Geschichte war doch sehr mißlich. Denn ein kleines, aber scharfes „Ping!“, wie auch ein lautes, aber kurzes „Peng!!“ hatten gegenüber dem Rest des Programmes, das die ganze Zeit WUMM!!! machte, keine Chance mehr: Der Ami mit dem Lautmachgerät hatte ganze Arbeit geleistet!

Wie konnte das sein? Einfach so: Herr Ex-Urban nahm eine spezielle Pegelsäge und säbelte das ganze spitze, feine, luftig pegelige Geäst, welches über dem Programm schwebte, ab. Zack! Einfach so. Der Hörer, von der Physiologie her auch nur ein Mensch, konnte jenes Geäst einzeln gar nicht wahrnehmen und merkte das zunächst gar nicht. Und sowie das Geäst ab war, kam der Ami mit seinem Pegelsteller und hob den verbliebenen Rest, seiner luftigen Krone beraubt, gnadenlos an, bis es oben rieb. Jetzt kam endlich die Energie über den Sender, die dem verhaßten lauten Konkurrenten so recht den garaus machte!

„Na und?“, mag der geneigte Leser jetzt fragen, er konnte doch leise drehen, der Hörer. Ja, das tat er auch, aber es half nichts: Die ihrem stützenden Geäst verlustig gegangene Musik (und auch die Sprecher!) tobten und dröhnten forthin mit all ihrer unbändigen Energie in des Hörers Ohr und trieben ihn schier in den Wahnsinn, so daß er tatsächlich daran dachte, diesem Lärm ein Ende zu bereiten und sein Radio endgültig abzustellen.

Au weh, dachte der Florian, wie krieg i dann des bloß wieder gradg’ruckt? Er dachte und dachte, und dann kam er, erst zaghaft, und dann doch, auf die Idee: Es muß leiser werden! Wir leiern die ganze hochgschraubte Pegelprahlerei herab, und zwar auf a zwanzigstel von dem, wie daß es jötz is. Und damit konnten auch das scharfe „Ping!“ und das laute, kurze „Peng!!“ wieder zum tragen kommen, die vorher niemand mehr gehört hatte, denn jetzt hatten sie nach oben wieder Luft zum wachsen. Und der Hörer zuckte zusammen, denn die waren jetzt so richtig laut, was er aber nicht so schlimm empfand, denn hinterher wurde es ja gleich wieder erträglich. Und nicht nur dies: Der Florian fand auch eine Methode, dem lauten „WUMM!!!“ zu verbieten, lauter zu sein als die scharfen „Pings“ und die kurzen „Pengs“.

Zufrieden rieb er sich die Hände, erhob sich und erstattete seinen Ober-Ober-Behördlern Bericht. „Fein, fein“, sagten die, „und wo liegt denn nun die Grenze?“ – „Minus dreiundzwanzig elluh-effeß!“ sagte der Florian da, weil er ja einer von der Behörde war. „Gut“, meinten seine Bosse, „dann nennen wir das ganze ,Err hundertachtundzwanzig‘“, denn sie waren ja auch von der Behörde.

Nachklang: Davon hörte irgendwann ein softwarebastelnder Radiofreak aus dem rheinischen und bastelte das in seine Software hinein. Und das wiederum beglückte einen Webradiomacher aus einem von Rindern bewohnten Walde in der Mitte der Republik so, daß er fürderhin auf das „WUMM!!!“ pfiff und dafür das scharfe „Ping!“ und das laute „Peng!!“ um so lauter krachen ließ. Zeitzeugen zufolge fand er das „geil“. (Pardon!)

Medienarchäologen sollten später herausfinden, daß jener der Begründer eines kleinen hessischen Dorfes gewesen war, dessen Bewohner lange und ausdauernd gegen das Geplärre im Webradio ankämpften, denn dort hatte die Ober-Ober-Behörde noch nie etwas zu melden.

Das Ende der Geschichte ist leider nicht überliefert.


Dynamische Grüße

TSD


Personen, die in diesem Märchen vorkommen, sind nicht gemeint!

3 Likes

:rofl: :rofl: :rofl:

Leichte Kritik:
Der …

… ist eher ein radiobegeisterter Informatiker aus dem Ruhrgebiet (rheinisch? Na ja), und ob man hessische Eisenbahner als Rinder bezeichnen darf (ja, ich habe das Wortspiel verstanden!), sei dahingestellt.

Immerhin sind viele Mitarbeiter der von Dir besuchten Anstalt Nutzer des schienengebundenen Verkehrs und einer von ihnen wollte Herrn Mehdorn ja sogar in Haft schicken (vgl. dazu auch das nach dem Sprecher benannte “Ballett” (wer das wohl zusammengeschnitten haben mag? :thinking:)).

P.S. Wikipedia ist ja auch witzig:

[ˈdɔʁtmʊnt] (Standardaussprache); regional: [ˈdɔɐ̯tmʊnt]

Der angesprochene führte auch Beisetzungen auf dem Hauptbahnhof durch oder sagte sich mit dem Namen seines Schichtvorgängers an (weil dieser noch auf dem Manuskript stand). Aber die Stimme, einmalig gut…